Deutschland: 3 Jahre Cannabis auf Rezept

Am 10. März 2017 trat in Deutschland das „Cannabis-Gesetz“ mit dem Ziel in Kraft, schwerkranken Patientinnen und Patienten den Zugang zu einer Therapie mit Medizinalcannabis zu vereinfachen. Seither steigt die Patientenzahl kontinuierlich – ebenso der Bedarf an Medizinalcannabis. Doch die Importmengen aus den Niederlanden und Kanada können die hohe Nachfrage nicht bedienen, sodass Apotheken immer wieder Lieferengpässe beklagen. Die erste Ernte von dem in Deutschland angebauten Cannabis ist erst im vierten Quartal dieses Jahres zu erwarten. Allerdings ist jetzt schon abzusehen, dass die Menge nicht ausreichend ist.

Ob eine Therapie mit medizinischem Cannabis infrage kommt, liegt im Ermessen des Arztes in Absprache mit dem Patienten. Die Voraussetzungen für die Verordnung sind, dass keine medizinische Standardtherapie zur Verfügung steht oder aber eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Besserung der schwerwiegenden Krankheit besteht.

Welche Erkrankung aber „schwerwiegend“ ist, hat der Gesetzgeber nicht definiert. Dementsprechend können sich nicht nur Krebs- oder AIDS-Patienten Cannabis als Medizin verordnen lassen, sondern auch Menschen, die unter chronischen Erkrankungen leiden.

Am häufigsten wird Medizinalcannabis zur Linderung der folgenden Erkrankungen/Symptome eingesetzt:

  • Übelkeit/Erbrechen im Rahmen einer Chemotherapie
  • zur Appetitsteigerung bei HIV/AIDS und bei einer Chemotherapie
  • chronische Schmerzzustände (z. B. Fibromyalgie, Rückenbeschwerden
  • Epilepsie
  •  Tourette-Syndrom
  • Spastizität bei Multipler Sklerose
  •  chronische Darmerkrankungen (Colitis ulcerosa und Morbus Crohn)
  • ADHS/ADS
  • psychische Beschwerden (Depressionen und Angststörungen)

Verordnungsfähig sind cannabisbasierte Fertigarzneimittel (z. B. Sativex), Rezepturarzneimittel wie die ölige Lösung Dronabinol und Vollspektrumextrakte zur oralen Einnahme sowie medizinische Cannabisblüten zum Vaporisieren.

Gesetzlich krankenversicherte Patientinnen und Patienten können zudem vor der Erstverordnung einen Antrag auf Kostenübernahme stellen. Diesen dürfen die Krankenkassen nur in begründeten Ausnahmefällen ablehnen.

Anzahl der Anträge steigt kontinuierlich

Die aktuellen Verordnungszahlen aller Krankenkassen zum Dreijährigen des Cannabis-Gesetzes sind noch nicht bekannt. Eine Analyse der Barmer zeigt aber jetzt schon, dass die Zahl der Anträge in den vergangenen drei Jahren kontinuierlich gestiegen ist. So wurden bei der Barmer von März bis Dezember 2017 insgesamt 3.090 Anträge eingereicht. Im Jahr 2018 waren es bereits 5.238 Anträge und 6.094 Anträge im vergangenen Jahr.

Laut dem GAMSI-Bericht des GKV Spitzenverbandes, erreichten die Cannabisverordnungen insbesondere von Januar bis September 2019 mit über 193.460 Verordnungen neue Rekordhöhen. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres waren es noch 128.000 Verordnungen. Hinzuzurechnen sind noch die Verordnungen auf Privatrezept. Schätzungen zufolge gibt es in Deutschland aktuell ca. 50.000 Cannabispatienten.

Große Herausforderungen für den Markt in Deutschland

Mit den steigenden Verordnungszahlen nimmt auch der Bedarf an medizinischem Cannabis zu. Dieser wird derzeit durch Importe aus den Niederlanden und Kanada gedeckt. Allein im Jahr 2018 wurden 3,1 Tonnen getrocknete Cannabisblüten importiert. Im Jahr 2019 verdoppelte sich die Importmenge auf 6,7 Tonnen.

Dennoch kommt es immer wieder zu Lieferengpässen bei verschiedenen medizinischen Cannabissorten. Für Patienten, die auf eine bestimmte Sorte eingestellt sind, ist dies besonders problematisch. Denn jede Sorte besitzt ein anderes Cannabinoid- und Terpenenprofil und damit auch ein individuelles Wirkungsspektrum. Deshalb können Patienten nicht ohne Weiteres auf eine andere Sorte ausweichen, wenn ihre Sorte nicht lieferbar ist.

Wie kommt es zu den Lieferengpässen?

Die deutschen Unternehmen, die das medizinische Cannabis importieren, führen die Lieferengpässe vor allem auf die weltweite Nachfrage zurück. Kanada hat Cannabis im Oktober 2018 vollständig legalisiert und bevor das Land Cannabis ins Ausland exportiert, wird zunächst der heimische Markt versorgt.

In den Niederlanden stellt sich wiederum ein anderes Problem, denn die Importmenge ist limitiert. Zwar hat Gesundheitsminister Jens Spahn im August 2019 die Liefermenge aus den Niederlanden von 700 Kilogramm auf 1,5 Tonnen Medizinalcannabis erhöht, der Bedarf ist hierdurch jedoch noch lange nicht gedeckt.

Einige Länder wie Israel und Mazedonien stehen schon in den Startlöchern, um Medizinalcannabis nach Deutschland zu exportieren. Jedoch muss das Medizinalcannabis strenge Standards erfüllen und darf nur aus zertifizierten Anbaustätten stammen. Bisher hatten nur die Niederlande und Kanada diese Voraussetzungen erfüllt. Im September 2019 gab es bereits einen Fortschritt zu verzeichnen, denn es gab eine Lieferung in Höhe von 500 Kilogramm aus Bulgarien.

Cannabis „Made in Germany“ soll Bedarf decken

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) startete im April 2017 die Ausschreibung zum „Anbau, Verarbeitung, Lagerung, Verpackung und Lieferung von Cannabis für medizinische Zwecke“ mit einem Gesamtvolumen von 6,6 Tonnen Medizinalcannabis für vier Jahre.

Deutsche Unternehmen konnten die Bewerbungsvoraussetzungen, wie zum Beispiel das Vorlegen von Referenzen über Aufträge zum Anbau von Medizinalcannabis oder den Nachweis darüber, dass sie in den vergangenen drei Jahren mindestens 50 Kilogramm Cannabis geliefert hatten, nicht erfüllen. Nachdem vier deutsche Produzenten beim Oberlandesgericht Düsseldorf Klage eingereicht hatten, stoppte das BfArM das Vergabeverfahren.

Erst im Juli 2018 erfolgte die neue Ausschreibung mit geänderten Bewerbungsvoraussetzungen. Außerdem wurde das Gesamtvolumen auf 10,4 Tonnen in vier Jahren erhöht, um die hohe Nachfrage decken zu können.

Nachdem die Bewerbungsfrist zweimal verlängert und sich die Zuschlagserteilung wiederholt verschoben hatte, gab das BfArM erst im Mai 2019 die Gewinner der Ausschreibung bekannt. Vergeben wurden die Aufträge in 13 Losen zu jeweils 200 Kilogramm Cannabis an die deutschen Niederlassungen der zwei kanadischen Unternehmen Aphria und Aurora sowie an das deutsche Start-up Demecan.

Mitte 2019 erteilte das BfArM außerdem der Bunker Pflanzenextrakte GmbH, eine 100-prozentige Tochtergesellschaft des kanadischen Unternehmens XPhyto Therapeutics, die Sondergenehmigung, Cannabis für wissenschaftliche Zwecke anzubauen.

Deutschland wird auch weiterhin auf Importe angewiesen sein

10,4 Tonnen deutsches Medizinalcannabis für die kommenden vier Jahre bzw. 2,6 Tonnen pro Jahr werden bei weitem nicht ausreichen, um den Bedarf zu decken. Bereits im Jahr 2019 betrug die Importmenge 6,7 Tonnen Cannabis. Daher wird Deutschland auch zukünftig auf die Importware angewiesen sein.

Prognose für die Zukunft des deutschen Cannabis-Marktes

Das britische Analyseunternehmen Prohibition Partners hat im vergangenen Jahr den „Germany Cannabis Report“ veröffentlicht und prognostiziert ein Marktvolumen von 7,7 Milliarden Euro bis zum Jahr 2028. Dabei könne das Marktpotenzial sogar rund 16 Milliarden Euro betragen, wenn man die Umsätze mit Cannabis für Freizeitzwecke – sofern dies legal wäre – hinzuziehe. Weiter geht das Marktforschungsunternehmen davon aus, dass die Zahl der Cannabispatienten in den nächsten fünf Jahren die Millionengrenze überschreiten könnte. Außerdem werde Deutschland eine zentrale Rolle beim Wachstum der Cannabisbranche spielen.